Warum feiern wir den Sonntag?

■ Die allermeisten Christen begehen ja offiziell den Sonntag als den heiligen Tag der Woche, der als Ruhetag vor dem Herrn gilt. Allerdings ist an betreffender Stelle des Buches Genesis die Rede vom Sabbat, dem Samstag: „So wurden vollendet der Himmel und die Erde und ihr gesamtes Heer. Am siebten Tag hatte Gott Sein Werk, das Er erschuf, ausgeführt. Er ruhte aus am siebten Tag von Seinem ganzen Werk, das er geschaffen hatte. Und Gott segnete den siebten Tag und erklärte ihn für heilig, weil Er an ihm ausruhte von Seinem ganzen Werk, das Er durch Seine Schöpfertat ins Dasein gerufen hatte.“ (Gen 2,1-3.)
War denn die Verlegung des betreffenden Ruhetags des Herrn vom Samstag auf den Sonntag rechtens? Widerspricht denn die katholische Kirche damit nicht grundsätzlich der Schöpfungsordnung und versündigt sich somit fundamental gegen das 3. Gebot Gottes? Denn im Buch Exodus heißt es ja unmissverständlich: „Achte darauf, den Sabbat zu heiligen! Sechs Tage magst du arbeiten und alle deine Geschäfte verrichten! Aber der siebte Tag ist ein Ruhetag zu Ehren des Herrn, deines Gottes. Du darfst da keinerlei Arbeit tun… Denn in sechs Tagen schuf Gott Himmel und Erde…, aber am siebten Tag ruhte Er. Darum hat der Herr den Sabbat gesegnet und geheiligt.“ (Ex 20,8-11.)
So gibt es auch unter Christen einige Gemeinschaften (so die Siebenten-Tags-Adventisten), die an der Heiligung des heutigen Samstags, des Sabbats, festhalten und die entsprechende Verlegung dieses Tages auf den Sonntag als falsch bezeichnen und als unzulässige Eigenmächtigkeit der katholischen Kirche darstellen. Dabei berufen sie sich hauptsächlich auf die folgenden Ausführungen Jesu: „Glaubt nicht, Ich sei gekommen, das Gesetz oder die Propheten aufzuheben. Ich bin nicht gekommen, um sie aufzuheben, sondern um sie zur Vollendung zu führen. Dann wahrlich, Ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird kein Jota oder Häkchen vom Gesetz vergehen, bis alles erfüllt ist.“ (Mt 5,17f.)
■ Ja, zu Seiner Zeit auf Erden hatte Jesus als frommer Israelit das bestehende Gesetz und Gebot erfüllt und ist somit auch wie selbstverständlich am Sabbat in die Synagoge gegangen (Apg 4,16). Auch in anderen Zusammenhängen ging Er wie alle Juden damals vom Sabbat als dem heiligen Tag der Woche aus. So wünschte Er z.B., dass die Flucht Seiner Jünger „nicht in den Winter oder auf einen Sabbat“ fallen möge, wenn sie nämlich den „Gräuel der Verwüstung … an heiliger Stätte“ erleben sollten (vgl. Mt 24,20).
Ja, Jesus hielt eisern am Prinzip der Heiligung des heiligen Tages fest – das Gebot Gottes soll und darf unter keinen Umständen aufgehoben werden! Aber die gerade genannten Stellen des Neuen Testamentes kann man nicht so interpretieren, als sei damit die Geltung des bestimmten Tages, des alttestamentarischen Sabbats (!), als des heiligen Tags der Woche für alle Ewigkeit festgelegt und zementiert worden. Jesus ging da lediglich von der damals als selbstverständlich geltenden Gegebenheit aus.
Die ersten beiden eingangs genannten Schriftstellen sind aus dem Alten Testament, und dieses ist ja bekanntlich weder vollkommen noch endgültig. Deswegen hat es dann ja auch an nicht wenigen Stellen und in Bezug auf mancherlei Gesetzesvorschriften eine entsprechende Korrektur, Richtigstellung und Vertiefung des heilsrelevanten Geheimnisses aus dem Mund Jesu erhalten - eben im Heiligen Geist und in der Gesinnung des von Ihm gewirkten Heilswirkens!
So ist ja z.B. die gesamte Bergpredigt in Bezug auf verschiedene konkrete sittliche Gebote nach der Art aufgebaut: Zwar „habt ihr gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist“ bzw. dass im Alten Testament dieser oder jener Inhalt als sittliches Gebot gelehrt worden ist; „Ich aber sage euch…“ Mit der betreffenden eigenen Interpretation des betreffenden Gebotes korrigierte Jesus teilweise sehr nachhaltig die alttestamentarische Sicht der Dinge bzw. erklärte, wie es eigentlich im Geist Gottes verstanden werden muss.
Ja, Er hat auf diese Weise auf prinzipieller Ebene sehr wohl „kein Jota oder Häkchen vom Gesetz vergehen“ lassen, das betreffende Gesetz aber dennoch einer grundsätzlichen Revidierung im ursprünglichen Sinn des göttlichen Gebotes unterzogen und somit auch von eventuellen menschlichen Beimischungen und irdisch gesinnten Interpretationen gereinigt. Das sehen wir ganz deutlich am Beispiel der Frage nach der Unauflöslichkeit der Ehe, die im Alten Testament unter bestimmten Voraussetzungen möglich war: „Wegen eurer Herzenshärte hat Moses euch erlaubt, eure Frauen zu entlassen; am Anfang jedoch war es nicht so. Ich sage euch aber: Wer seine Frau entlässt … und eine andere heiratet, bricht die Ehe. Und wer eine Entlassene zur Ehe nimmt, bricht die Ehe.“ (Mt 19,7-9.)
■ Und auch tatsächlich liegen die theologischen Gründe für die Verlegung des heiligen Tages der Woche vom alttestamentarischen Samstag, dem Sabbat, auf den neutestamentarischen Sonntag in der Frage nach der von Jesus gewirkten Erlösung bzw. im christlich-biblischen Grundverständnis von Schöpfung und Erlösung.
Ja, im Alten Testament hat Gott am siebten Tag ausgeruht von allen Seinen Werken. Dabei bezieht sich dieses Wirken Gottes lediglich und ausschließlich auf Werke der Schöpfung und nicht in geringster Weise auf das Werk der Erlösung, das Heilswirken Jesu Christi! Die Erlösung hat da thematisch noch keine Rolle gespielt. Aber es wäre gänzlich falsch und verkehrt bzw. gegen das elementare Glaubensverständnis und das christliche Gottesbild, das Wirken Gottes an der Menschheit lediglich auf Fragen der Schöpfung zu fokussieren und dabei das Thema der Erlösung auszulassen.
Im Johannes-Evangelium wird berichtet, wie Jesus einen Kranken am Bethesda-Teich heilte. Die Juden warfen Ihm daraufhin vor, Er habe dies am Sabbat getan und somit diesen heiligen Tag entweiht. „Jesus hielt ihnen entgegen: ‚Mein Vater wirkt bis zur Stunde, und so wirke auch Ich.‘“ (Joh 5,17.) Mit diesem einen Satz hat Er nicht nur allgemein argumentiert, dass man am Sabbat sehr wohl auch ein Schaf aus der Grube befreien oder z.B. insofern „Gutes erweisen“ dürfe, dass man einen Menschen von der Lähmung seiner Hand heilt. (Vgl. Mt 12,9-13.) Nein, darüber hinaus hat Jesus damit Sein Heilswirken generell als die Fortsetzung des Wirkens Gottes bezeichnet!
Ja, Gott hat die Welt wunderbar erschaffen. Auch der Mensch erfreute sich da der Freuden des Paradieses. Nur ist dann aber leider die Sünde in die Welt gekommen und hat die ganze Schöpfung nachhaltig gestört! Die Menschen wurden der beseligenden Anschauung Gottes beraubt – Verzweiflung und irdische Verbannung waren und sind die bitteren Folgen der Sünde.
Somit erscheint in diesem heilsrelevanten Kontext die wegen der Sünde dann leider notwendig gewordene und von Jesus als dem Gottmenschen dann auch tatsächlich gewirkte Erlösung am Kreuz als das essentielle Fortdauern des Wirkens bzw. Heilswirkens Gottes! Dieses nahm in der Schöpfung der äußeren Welt seinen Anfang und fand dann aber in der Erlösung Christi seinen krönenden Abschluss und die glorreiche Vollendung! Somit ist die Schöpfung des Weltalls allein und ohne die entsprechende Vervollkommnung durch das Heilswirken in Jesus Christus wie alles im Alten Testament sowohl unvollendet als auch unzulänglich!
Erst mit der Auferstehung Jesu Christi von den Toten und somit der grundsätzlichen (bzw. für den Menschen grundsätzlich ermöglichten) Erlösung von der Sünde und der Macht der Teufels trifft im eigentlichen Sinn des Wortes zu, was im Schöpfungsbericht des Buches Genesis gesagt worden ist: „Und Gott sah, dass es gut war“ (Gen 1,18.21.25). Somit erscheint der betreffende Kommentar des Alten Testaments nach dem sechsten Tagewerk Gottes gewissermaßen auch nur als eine Ankündigung der Großartigkeit und Vollkommenheit der neuen Schöpfung in Jesus Christus: „Als Gott alles sah, was Er gemacht hatte, fand Er es sehr gut“ (Gen 1,31)!
Dem entsprechen dann auch einige andere Aussagen Jesu in Bezug auf den alttestamentarischen Sabbat: „Ich sage euch aber: Hier ist mehr als der Tempel. … Denn der Menschensohn ist Herr auch über den Sabbat.“ (Mt 12,6.8.)
■ Ja, die Christen sind anfangs noch eine gewisse Zeit lang am Sabbat in den Tempel gegangen und haben sich auch sonst u.a. auch an die alttestamentarischen Speisevorschriften gehalten. Dies wurde dadurch begünstigt, dass sie noch aus vielen Juden bestanden, die sich zum Christentum bekehrten und erst unter Vorlage von schlüssigen Argumenten von althergebrachten Bräuchen und Gewohnheiten abgesehen haben. So bildete sich auch das typisch christliche Bewusstsein erst Schritt für Schritt und konnte nicht von heute auf morgen entstehen.
Das sehen wir besonders an dem sehr markanten und für die Juden extrem bedeutsamen Beispiel des Umgangs mit der Beschneidung. Einige Judenchristen warfen nämlich einigen der Jünger vor, sie würden von den sich bei ihnen zur Taufe anmeldenden männlichen Heiden nicht auf der vorherigen Beschneidung in Entsprechung zu jüdischen Gesetzesvorschriften bestehen: „Wenn ihr euch nicht nach dem Brauch des Moses beschneiden lasst, könnt ihr nicht zum Heil gelangen“ (Apg 15,1). Es bedarf eines ganzen Apostelkonzils, um diese Frage zu regeln. Dieses kam dann zur Schlussfolgerung und Entscheidung, dass die jüdisch-alttestamentarische Beschneidung keine Rolle mehr spielt bei der Frage nach dem Christ-Werden und Christ-Sein!
Nach der Logik der Siebenten-Tags-Adventisten müsste der Verzicht auf die Beschneidung als Bedingung für den Empfang der christlichen Taufe ebenfalls unrechtmäßig und glaubenswidrig sein. Somit müssten sie sich auch heute noch entsprechend beschneiden lassen! Analog dazu reifte in der Kirche auch in Bezug auf die Frage nach dem Sonntag erst im Laufe der Jahre bzw. der ersten Jahrzehnte nach der Auferstehung Christi die Erkenntnis und das Bewusstsein heran, dass der wahre Ruhetag Gottes nicht mehr der Sabbat sein kann, sondern der Sonntag sein muss, der „erste Tag der Woche“. Denn Jesus Christus ist ja an diesem Tag von den Toten auferstanden und hat somit den Sieg über die Sünde und die böse Macht des Teufels als des eigentlichen Feindes der Menschheitsfamilie sichtbar gemacht! (Vgl. Mt 28,1; Mk 16,2; Lk 24,1; Joh 20,1.)
So lesen wir dann auch in der Apostelgeschichte, wie ein Reisebegleiter des hl. Apostels Paulus auf seinen Missionsreisen (der hl. Evangelist Lukas?) über ihren Aufenthalt in Troas sagt: „Am ersten Tag der Woche waren wir zum Brotbrechen versammelt.“ (Apg 20,7.) Damit wird zwar noch nicht eindeutig formuliert, dass man zu der betreffenden Zeit überall und ausschließlich nur den Sonntag, den „ersten Tag der Woche“, als den eigentlichen Tag des Herrn ansah und heiligte. Dennoch ist dies bereits ein wichtiges Schriftzeugnis dafür, dass man zu dieser Zeit (maximal 30 Jahre nach der Himmelfahrt Jesu!) auch nicht mehr überall den Sabbat hielt! Jedenfalls hat man da das „Brotbrechen“ begangen und somit wohl die hl. Messe gefeiert – das allein ist ein sehr starkes Indiz dafür, dass die betreffenden Bischöfe, Priester und Gläubigen bereits die Feier des Sonntags praktiziert haben. ■ Der Begriff „der Tag des Herrn“ wurde in frühester christlicher Zeit von Heidenchristen geprägt und unmissverständlich auf den Sonntag bezogen. In der Kirchengeschichte finden wir dann in einigen Schriften der sogenannten Apostolischen Väter, die nämlich entweder im persönlichen Verkehr mit den Aposteln gestanden oder wenigstens von Apostelschülern im Christentum unterrichtet worden sind, einige Stellen, an denen vom Sonntag die Rede ist, an welchem sich die Christen nämlich zur Feier des Gottesdienstes versammelt hatten.
So steht in der „Didache oder Apostellehre“, bei der viele Gründe auf eine Datierung auf die letzten Jahrzehnte des ersten christlichen Jahrhunderts sprechen: „Am Tage des Herrn versammelt euch, brechet das Brot und saget Dank, nachdem ihr zuvor eure Sünden bekannt habet, damit euer Opfer rein sei.“ (14,1.)
Der Barnabasbrief, dessen Entstehung in Alexandria gegen das Jahr 100 datiert werden könnte, enthält nicht nur eine Begründung für die Übertragung des Sabbats auf den Sonntag, sondern enthält auch die folgende klare Feststellung: „Deshalb begehen wir auch den achten Tag (=den Sonntag, den ersten Tag der neuen Woche) in Freude, an dem auch Jesus von den Toten auferstanden … ist.“ 15,9.)
Diese historischen Schriftzeugnisse belegen, dass die Christen seit frühesten Zeiten der Kirche in der Übertragung des alttestamentarischen Sabbats auf den Sonntag als des Auferstehungstages Christi die Tatsache der Vollendung der Schöpfung durch die Erlösung gesehen und auch eindrucksvoll zum Ausdruck gebracht haben! Begehen auch wir heute den Sonntag als den Herrentag auch immer bewusst als einen Tag, der uns das grundsätzliche Heilsgeheimnis Jesu Christi in Erinnerung rufen und uns auf der anderen Seite auch an unsere heiligen Pflichten Gott gegenüber ermahnen will!

P. Eugen Rissling

 

 

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